HELMUT DRAXLER:
"Man muß die Grenzen lockern, sonst funktioniert man als Individuum allein durch die vorgegebenen Strukturen und wird auch nur so wahrgenommen"
(...)
"Auf der einen Seite wurde hier die Forderung erhoben, jeder solle nur das machen, was er wirklich kann. Meine Ansicht ist eine andere. Was ich mir viel eher vorstellen könnte, wäre ein ständiges Intervenieren, Sicheinmischen, die eigene Identität auflösen, Möglichkeiten finden, wie man eben diesen individualistischen Zuschreibungen als Staatsbürger, als Konsument entgehen kann, als Repräsentant einer Institution etc. Und wie man hier fließendere, letztlich auch aus meiner Sicht politisch aktivere Positionen entwickeln kann als eben die des Experten, des Professionellen, der nur an einer Sache arbeitet und sie perfektioniert – und damit auch genau das Soll, das die Gesellschaft im jetzigen Zustand von einem fordert, erfüllt." (...)
"Also ich finde die Diskussion über den erweiterten Kunstbegriff eigentlich eine sehr wichtige. Daß man so einen Begriff wieder mal aufnimmt und ein bißchen abcheckt, wie man damit umgehen kann, da nun immerhin schon 20 Jahre und mehr vergangen sind, um ihn in Bezug zu setzen zu verschiedenen aktuellen Praktiken.
Natürlich ist ein Kunstbegriff keine Praktik, aber erweitert ist der Kunstbegriff bereits im 18. Jahrhundert – das kann man nachlesen, kunsthistorisch, ohne besserwisserisch zu sein. Das ist die Zeit, wo der Kunstbegriff eine Form annimmt und nicht mehr an irgendein Ding geklebt wird, sondern diese abstrakte Form erhält, die wir dann alle bewundern. Er wird zur Projektionsfläche und erhält dieses soziale Prestige, das er eigentlich bis heute hat und von dem alle diese heutigen Van Gogh-Ausstellungen und die Christos in Berlin noch profitieren. Er ist eben so abstrakt, und man kann eigentlich alles damit machen.
Erst im 20. Jahrhundert hat man versucht, diese Abstraktheit auch mal ein bißchen zu testen, wie Duchamp oder die russischen Konstruktivisten es taten. D. h., dieser abstrakte Kunstbegriff ist innerhalb einer bestimmten Realität mit einer bestimmten Praxis gefüllt worden. Und man sieht, der Begriff kommt eben aus einem Diskurs heraus.
Und so wie Institutionen diese Praktiken determinieren, den Raum geben, den sozialen Ort vorschreiben, tun dies auch Diskurse. Ich kann mir keine Praxis vorstellen, die ganz aus sich selbst, aus reinen Individuen herauskommt, aus purer Subjektivität, sondern wir leben in einem Raum der Postpostpostmoderne, der durchzogen ist von Diskursen und von institutionellen Strukturen im gesellschaftlichen wie im kulturellen Bereich, die sich teilweise überschneiden, teilweise nicht. Wir sind, Bourdieu hat das sehr schön beschrieben, nicht unabhängige Individuen, sondern wir sind soziale Akteure, die genau auf diese Bedingungen Bezug nehmen und dort Sinn herstellen können. Und ich glaube, das ist auch ein wichtiger Punkt für die Veranstaltung (Anm.: gemeint ist das Projekt Helix-Hochbau), daß 'Institution' nicht nur als eine Fülle von Räumen verstanden wird, sondern als sozial sinnhaftes Gebilde, das man befragen kann." (…)