Home
Hauptseite Literatur
Coverseite

Planet of Visions

 

„Ich, ich, ich“, sagte der Commander und tippte wie wild gegen seine Brust, „ich sage euch eins …“ – „Hmpf“, machte Hartmut. Kurti sagte nichts, sondern starrte in seinen Teller. „Ach, ist ja auch egal“, sagte der Commander und machte eine wegwerfende Handbewegung. Anschließend widmete er sich wieder mit Inbrunst dem Gockel. „Trotzdem – wenn man auf mich gehört hätte …“ – „Ist doch eh alles Beschiß“, sagte Hartmut. „Du sagst es“, sagte der Commander. Sie mampften und schwiegen.

Hingebungsvoll umstanden sie den Stehtisch und widmeten ihre konzentrische Aufmerksamkeit nun ganz der Nahrungsaufnahme. Der Commander hatte Halbes Hähnchen, Hartmut Jägerschnitzel, Kurti Currywurst. Im Hintergrund wurschtelte die Pommesfrau. In einer Ecke saß der Unbekannte Gast und wartete auf eine Frikadelle.
Nach einer Weile griff der Commander den Faden wieder auf: „Der Abstieg …“ – „Wir steigen auch wieder auf“, sagte Hartmut trotzig. „Da seh ich schwarz“, sagte der Commander. „Dann bleibt immer noch beten“, sagte Hartmut. „Das Problem ist doch“, sagte der Commander und riß zornig an seinem Hähnchen, „die kleineren Vereine werden zwischen den großen förmlich zerrieben.“ – „Am Ende hat ein einziger Punkt gefehlt“, sagte Hartmut und verdrehte die Augen. Der Commander starrte wild um sich. „Damit eins klar ist: Wenn ich die Mannschaft aufgestellt hätte“, wieder tippte er gegen seine Brust, „stünden wir jetzt nicht da, wo wir stehen.“
Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift: PLANET OF VISIONS. Bei jedem Antippen rieb sich das Hähnchenfett von den ölgetränkten Fingerkuppen da rein. Schon prangte ein kolossaler Fleck auf der Brust.

„Der Schiedsrichter“, sagte Hartmut. „Ein Verbrecher“, schrie der Commander. „Du und ich, du und ich …“, abwechselnd wies er mit dem Finger auf Hartmut und tippte sich gegen die Brust: „Wir zwei wissen Bescheid.“ – „Aber unsereins sind ja die Hände gebunden“, sagte Hartmut. „Die gleiche Scheiße wie in der Politik!“ schrie der Commander. „Unsere Meinung ist nicht gefragt. Was unsereiner empfindet, ist denen doch scheißegal.“ Er hatte jetzt einen Hähnchenflügel abgerissen und führte damit Fechtfiguren auf durch den Raum. „Die Welt könnte ganz anders aussehen“, sagte Hartmut. „Viel schöner“, schrie der Commander. „Viel schöner“, bestätigte Hartmut. „Eine Saubande – die Politiker“, schrie der Commander, „alle korrupt! Arbeitsplätze? Ha! Ich lach mich tot …“ Und dabei fuhr er sich mit der Pranke durch die Matte, so das Hähnchenfett in den Haaren verreibend. „Vor der Wahl versprechen sie einem das Blaue vom Himmel“, sagte Hartmut.
Für eine Weile schien damit alles gesagt. Nur daß Kurti noch rein gar nichts zur Unterhaltung beigetragen hatte, sondern lediglich trüb seine Currywurst anstarrte, fiel den beiden jetzt auf. „Sag doch auch mal was, Kurti“, sagte Hartmut und stupste ihn an.

„Helga …“, sagte Kurti.
„Das alte Schlachtroß“, rief der Commander.
„Helga …“, sagte Kurti.
„Genau!“ rief der Commander. „Schluß mit Politik. Laßt uns lieber von den Weibern schwafeln.“
„Helga …“, wiederholte Kurti.
„Darauf trinken wir“, schrie der Commander. Und er hob drei Finger in Richtung Pommesfrau. „Mach mal drei Kurze!“
„Helga und du – ihr seid auch schon ewig zusammen“, sagte Hartmut.
„Dreißig Jahre“, flüsterte Kurti.
„Mensch – dreißig Jahre. Und immer dieselbe Ische“, rief der Commander und hieb krachend seine Pranke auf Kurtis Schulter. „Daß dir das nicht auf Dauer langweilig geworden ist …“
„Laß mal Kurti in Ruhe“, sagte Hartmut beschwichtigend. „So ein Paar wie den und Helga – da mußt du lange suchen.“
„Neee, für mich wär das nix“, schrie der Commander. „Ich bin für Vielfalt im Bett.“
„Dafür bist du ja jetzt auch solo. Weil – mit dir hat’s doch keine lange ausgehalten“, sagte Hartmut.
„Na und? Geh ich eben in den Puff“, schrie der Commander.
„Das sieht dir ähnlich“, sagte Hartmut. „Hast ja sonst nichts im Kopf.“
„Jawoll – ficken! Ficken ist das Allerschönste“, brüllte der Commander, während Hähnchenbröckchen aus seinem Mund schossen. Und dabei ruckte er mehrmals heftig mit dem Unterleib gegen den Stehtisch, daß die ganze Konstruktion bedenklich ins Wanken geriet.
„Heh, heh. Immer langsam mit den jungen Pferden“, sagte die Pommesfrau, die gerade die Schnäpse brachte.
„Unser Kurti hier will uns von seinem Liebesleben erzählen“, schrie der Commander und ließ seine Pranke erneut auf Kurtis Rücken sausen. Mit der anderen versuchte er der Pommesfrau den Hintern zu tätscheln, die sich ihm aber entzog.
„Der da?“ sagte die Pommesfrau und schüttelte den Kopf.
„Aber vorher muß ich mal eben ’ne Stange Wasser in die Ecke stellen“, schrie der Commander. Er trollte sich in Richtung Klo, nur um sich an der Tür noch einmal umzudrehn: „Haltet die Stellung, Jungs!“

Eine Weile herrschte Ruhe. Hartmut und Kurti schwiegen sich an. „Du darfst dem Commander nicht böse sein“, sagte Hartmut. „Er meint es nicht so. Letzte Woche haben sie ihn gefeuert. Du weißt ja, wie sowas heute geht: Tritt in den Arsch, und das war’s dann …“
„Ist schon okay“, sagte Kurti und stocherte in seiner Currywurst.

Da trat der Commander auch schon wieder auf den Plan, sich im Gehen noch den Hosenstall zuknöpfend. „Hallo, ihr Armleuchter“, rief er: „Ich hoffe, ihr habt euch auch ohne mich ordentlich amüsiert.“ Dann packte er sein Glas. „Ex!“ rief er und kippte den Klaren: „Aaah – guut!“
Auch Hartmut knallte sein leeres Schnapsglas auf die Tischplatte zurück. Genüßlich schnalzte er mit der Zunge. Nur Kurti drehte unschlüssig den Klaren in den Händen. „Helga …“, startete er einen neuen Versuch.
„Ach ja, Helga. Was ist denn mit Helga?“ sagte der Commander.
„Sie ist krank“, sagte Kurti.
„Oh“, machte der Commander und glotzte betreten.
„Das tut mir leid“, sagte Hartmut. „Was hat sie denn?“
„Krebs“, sagte Kurti.

In diesem Moment erhob sich der Fremde. „Wo bleibt eigentlich meine Frikadelle?“ rief er. Und weil die Pommesfrau nicht reagierte, verließ er den Laden: Er öffnete die Tür und trat hinaus und ins Leere. Erst sank er in die Tiefe. Dann wurde er noch einmal emporgerissen. Eine Weile klebte er kalkweiß, mit grotesken Verrenkungen, wild rudernd und mit schreckgeweiteten Augen an der Scheibe, und sein Mund schnappte auf und zu. Dann trieb er end-gültig ab in namenlose Schwärze.
In Wahrheit war die Pommesbude nämlich ein Raumschiff. Das hatte sich abgelöst von den Krusten der Erde und war emporgestiegen, um durch die Weite des Alls einem unbekannten Ziel entgegenzurasen, im Bordcomputer tief eingeschrieben ein Programm namens Sehnsucht.

Nacheinander erloschen die Pommesfrau, der Commander und Hartmut und entpuppten sich damit als das, was sie immer gewesen waren – holografische Projektionen, von irgendeinem Virtuellbildner in den Raum geschmissen. Allein Kurti blieb übrig.
„Computer!“ sagte Kurti und straffte die Schultern. „Ich höre und gehorche“, sagte das Bordgehirn. „Maximale Beschleunigung!“ befahl Kurti. „Wird gemacht“, sagte das Bordgehirn.
Aus der Friteuse drang ein Brodeln. In dem ultraheißen Fett schwamm das Bordgehirn, und das Sieden der Flüssigkeit entsprach haargenau der optimalen Betriebstemperatur. Alle Anzeigen im grünen Bereich. Und der Antrieb? Den Antrieb bildeten auf irgendeine technisch schwer nachvollziehbare Weise die rotierenden Hähnchenspieße, deren Drehmoment sich jetzt mit einem leichten Sirren erhöhte. Die Pommesbude erreichte Überlichtgeschwindigkeit.